Reiterhilfen erklärt: Die Sprache zwischen Reiter & Pferd
Um es vorwegzunehmen: Die Definition von Reiterhilfen, deren Wirkweise und Anwendung füllen ganze Bücher. Und das auch absolut zu Recht. Sie sind der Dreh- und Angelpunkt der Kommunikation zwischen Reiter und Pferd. In diesem Artikel befasse ich mich bewusst nur mit der Hilfengebung des Reiters. Auch Menschen, die ihre Pferde vom Boden aus arbeiten oder Kutsche fahren, benutzen Hilfen. Diese werde ich aber in dem Artikel nicht besprechen.
Der Artikel soll Dir eine kurze und knappe Einordnung geben, wie die Verständigung zwischen Reiter und Pferd „funktioniert“. Im Reitunterricht hörst Du häufig Sätze wie „Tief einsitzen“, „Schenkel ran“ oder „mit dem Zügel ein bisschen abspielen“. Klingt ziemlich unverständlich und um ehrlich zu sein, erklären viele Reitlehrer auch nicht, was das genau bedeutet, z.B. wie der eigene Körper bewegt werden muss, damit das Pferd versteht, was der Reiter von ihm möchte.
Kurz und knapp: Reiterhilfen sind die Sprache zwischen dem Reiter und seinem Pferd.
Sie sind die Grundlage jeder Kommunikation im Sattel und entscheiden darüber, ob Reiten harmonisch und leicht wirkt (unser aller Ziel, dass wir Reiter versuchen zu erreichen) – oder eben nicht…
Was ist eine Reiterhilfe?
Reiterhilfen sind Signale, die der Mensch dem Pferd gibt, um es zu motivieren, zu beruhigen oder zu einer Aktion zu bewegen. Sie sind das „Vokabular“ einer gemeinsamen Sprache. Diese Sprache muss sowohl der Reiter, als auch das Pferd zunächst lernen! Junge Pferde müssen lernen, was der Mensch von ihm möchte.
Reiterhilfen sollen so klar und leicht verständlich wie möglich für das Pferd sein. Wenn ich also beispielsweise das Pferd mit meinem Schenkel leicht am Bauch „drücke“ und gerne möchte, dass es einen Schritt zur Seite macht, ist das für das Pferd eine logische Reiterhilfe. Es weicht dem Druck zur Seite aus. Nur eine ganz vereinfachte Erklärung einer Reiterhilfe!
Bei Reiterhilfen geht es also nicht nur um Sprache im klassischen Sinn, sondern um körpersprachliche und taktile Einwirkungen. Der Körper, die Stimme des Reiters und seine Hilfsmittel bilden ein System, das sein Pferd verstehen kann, wenn die Reiterhilfen korrekt ausgeführt werden und das Pferd korrekt ausgebildet wurde.
Und genau hier liegt die Schwierigkeit. Den eigenen Körper bewusst zu steuern, Körperteile unabhängig voneinander zu bewegen oder ruhen zu lassen ist schon schwer genug. Das Ganze auf einem Pferd, mit seinen eigenen Bewegungsmustern, ist richtig schwer!
Mehr dazu weiter unten im Text. Jetzt möchte ich mich erst einmal weiter mit der Erklärung der Reiterhilfen befassen.
Die verschiedenen Reiterhilfen
Es gibt Schenkel-, Gewichts-, Zügel und Stimmhilfen.
Die Schenkelhilfe

Mit dem Schenkel gibst du Tempo und Richtung vor. Wichtig: treibende Hilfen sind Impulse, kein Dauerdruck. Dauerhaftes Treiben stumpft das Pferd ab. Man stelle sich nur vor, dass ein Trainer uns immer weiter anspornt und nie zufrieden ist, egal wie schnell wir laufen… Nicht schön und nicht motivierend Leistung zu zeigen. „Es ist ja eh nie genug“…
Die Gewichtshilfe

Lenkt das Pferd gemeinsam mit dem Schenkel. Blickt der Reiter nach rechts über seine Schulter, geht der rechte Gesäßknochen tiefer in den Sattel und der linke Gesäßknochen nach oben-vorne. Das Pferd spürt diese Verlagerung des Gewichts und wird sich entsprechend der Be- und Entlastung des Reitergewichts bewegen. Der Reiter weist so dem Pferd den Weg. Ganz ohne am Zügel zu ziehen.
Die Zügelhilfe

Ist die nachrangigste Hilfe. Für den Menschen ganz natürlich und in seinen Instinkten fest verankert: Festhalten, wenn wir uns unsicher sind, wackeln, fallen… Das ist normal. Erschrickt das Pferd und macht einen Satz zur Seite, hält sich selbst der routinierteste Reiter am Zügel fest. Die Kunst beim Reiten ist aber ein „zügelunabhängiger Sitz“. Das heißt, der Reiter kann seinen Körper so steuern, dass Beine, Gesäß, Bauch, Rücken, Kopf und Arme voneinander unabhängige Bewegungen durchführen können, ohne dass die Hände ein Eigenleben entwickeln und Zug auf den Zügeln entsteht. Je ruhiger die Hand des Reiters, umso zufriedener das Pferd.
Die Zügelhilfe hilft dem Pferd „Stellung“ im Hals zu bekommen. Also eine leichte Biegung in der Halswirbelsäule einzunehmen. Die Zügelhilfe dient nicht dazu, das Pferd herumzuziehen und in eine Richtung zu lenken.
Zügelhilfen geben also Rahmen und Richtung. Ziehen blockiert, feines Annehmen und Nachgeben schafft Vertrauen. Die Hand folgt immer dem Maul, nicht umgekehrt.
Bis der Reiter das beherrscht, muss unser Pferd so einiges erdulden. Einer der Gründe, die Schulpferde dieser Welt in Ehren zu halten!
Die Stimmhilfe
Sie dient der Motivation oder der Beruhigung des Pferdes. Eine „Dauerbeschallung“ nervt allerdings eher das Pferd, als das es hilft (nicht anders als bei Menschen). Redet der Reiter unaufhörlich auf das Pferd ein, schaltet dieses irgendwann ab und hört nicht mehr zu.
Es gilt hier punktgenau zu unterstützen. Ist das Pferd vielleicht nervös, kann der Reiter es durch beruhigend laut oder leises reden unterstützen. Wenn eine schwierige Aufgabe bevorsteht und das Pferd Motivation braucht, kann auch mal ein lauteres anspornen hilfreich sein. Flica beispielsweise braucht bei bestimmten Sprüngen manchmal „Mut von oben“, dann sage ich „Weiter!“ oder „Auf geht’s!“ Je nachdem was mir gerade in den Simm kommt. Auch die Aufforderung, fleißiger zu laufen, geht über Schnalzen oder Küsschen-Geräusche.
Aktive und passive Reiterhilfen
Das Ganze gibt es jetzt noch als aktive und passive Hilfen.
Besonders zu Beginn, aber auch fortgeschrittene Reiter müssen lernen, sich ihres Körpers und der Einwirkung auf das Pferd bewusst zu werden. Das gilt ein Reiterleben lang!
So spürt ein Pferd, wenn der Reiter Angst hat. Der Mensch fängt an sich „festzuhalten“, wird steif, zieht an den Zügeln, drückt die Beine zusammen… Das Pferd bekommt so signalisiert „Achtung, hier stimmt was nicht! Es ist Vorsicht geboten!“ Und wenn der Reiter, „der Pilot“ vom Team Reiter-Pferd schon Angst hat, dann erst recht das Fluchttier Pferd.
Wozu braucht es Reiterhilfen?
Wir wissen jetzt also, ohne Hilfen weiß das Pferd nicht, was der Reiter von ihm möchte. Es ist ein Herdentier und sucht beim Reiter – ich sage meiner Tochter oft „dem Piloten“ nach Orientierung.

Ich benutze ganz bewusst nicht den Begriff „Chef“, denn das ist aus meiner Sicht nicht korrekt. Ein Reiter und sein Pferd müssen ein Team bilden. Ohne Pferd ist ein Reiter nur ein Mensch, ohne Mensch bleibt ein Pferd ein Pferd. Ein bekannter Satz, der genauso vollkommen richtig ist. Der Pilot weist den Weg, kennt die Knöpfe, die er drücken muss, weiß wie er in brenzligen Situationen seine Mannschaft rettet. Alleine Fliegen kann er aber nicht.
Warum Reiten ein Sport ist und was Reiten von anderen Sportarten unterscheidet
„Reiten ist kein Sport, das Pferd läuft ja schließlich und der Reiter sitzt nur drauf“. So etwas hören Reiter des Öfteren. Diese Aussagen können aber nur von jemanden stammen, der noch nie geritten ist. Denn selbst beim ersten Mal sitzen auf dem Pferderücken – und das ist kein Reiten! – wird man hinterher seine Muskulatur merken.
Reiten ist eine reaktive Sportart. Der Reiter muss sich an die Bewegungen des Pferde anpassen und ist so ständig gezwungen zu reagieren, statt eine passive Position im Sattel einzunehmen.

Reiten ist also erwiesenermaßen körperlich fordernd: Balance, Muskelkraft, Ausdauer. Nicht nur der eigene Körper wird bewegt, auch die Bewegung des Pferdes bewegt uns. Im besten Fall bewegen sich die Körper von Pferd und Reiter im Einklang. Das ist unser lebenslanges Ziel als Reiter! Ein Team zu bilden, das von außen wie eine Einheit wirkt. Reiterhilfen die nicht zu sehen sind und doch existieren.
Zudem haben wir einen Sportpartner, der nicht mit uns Sprechen kann. Das Pferd kann uns nicht sagen, ob es einen guten oder schlechten Tag hat. Ob etwas weh tut oder es erschöpft ist. Das müssen wir als Reiter/ Pferdmensch beobachten und Signale erkennen können.

Neben den tagtäglichen Befindlichkeiten haben wir noch den Charakter unserer Sportpartner. Manche sind eher gemütlich und verziehen so manche Reiterfehler, andere leicht reizbar und schnell genervt, wenn der Reiter da oben keinen „guten Job“ macht.
Das ist so und darf auch so sein. Es ist unsere Aufgabe als Reiter, sich darauf einzustellen und dem Pferd eine gute Zeit mit uns zu schenken. Was nicht heißt, dass es manchmal eben auch -zu seinem Besten- frustriert wird oder es Ängste überwinden muss.
Mentale Anforderungen
Reiten fordert nicht nur körperliche Fitness, sondern auch mentale Stärke. Du musst konzentriert, klar und ruhig bleiben. Wer ungeduldig oder ärgerlich wird, erreicht meist das Gegenteil von dem, was er wollte.
Die allermeisten Pferde möchten mitarbeiten, es gibt nur sehr wenige, die so gar keinen Bock darauf haben, sich mit dem Menschen gemeinsam zu bewegen. Zeigt ein Pferd enorme Abwehrhaltung, liegt das meist an unschönen Erfahrungen und Missverständnissen in der Vergangenheit. Das Pferd an sich ist nicht darauf aus zu kämpfen und sich zu widersetzen. Konflikte oder Rangordnungen werden durch sehr subtile Verhaltensweisen geklärt. Ein verletztes Wildpferd, ist leichte Beute, daher vermeiden Pferde es bis heute, in gefährliche Kämpfe einzusteigen.
Was hat das nun mit dem Reiten zu tun? Ganz einfach, in dem Augenblick, in dem der Mensch sich in das Leben des Pferdes einmischt, zählt er quasi zur Herde. Der Mensch/ Reiter führt an, gibt Sicherheit, ist das Leittier. Ein wahnsinnig spannendes Thema, das ebenfalls ganze Bücher füllt und hier nur in Kürze von mir angerissen wird. Schau gerne in meine Bücherempfehlungen (*coming soon)
Exkurs: Die Entwicklung der „Deutschen“ Reitweise.
Ursprünge in der Kavallerie
Die deutsche Reitweise entstand im Militär. Soldaten mussten ihre Pferde präzise steuern, damit sie im Kampf funktionierten.

Von damals bis heute
Heute geht es nicht um Krieg, sondern um Partnerschaft. Aber viele Grundlagen – wie die feine Hilfengebung – stammen noch aus dieser Zeit.
Blick in die Zukunft
Die Reiterei entwickelt sich weiter: Pferdewohl, Achtsamkeit, partnerschaftlicher Umgang gewinnen an Bedeutung. Das Ziel: ein respektvoller Dialog.
Fazit – Reiterhilfen als Schlüssel zur Harmonie

Reiterhilfen sind kein starres Regelwerk, sondern lebendige Kommunikation. Sie verbinden den Reiter und sein Pferd. Je feiner und klarer Reiterhilfen eingesetzt werden, desto mehr Vertrauen entsteht zwischen Mensch und Pferd.
Reiten ist kein Kampf, sondern ein Dialog. Reiterhilfen sind keine Werkzeuge zur Kontrolle – sie sind unsere Sprache der Zusammenarbeit. Wer denkt, er müsse sich gegenüber seinem Pferd „durchsetzen“, hat die Idee der Hilfengebung missverstanden.
Ein Pferd, das feine Hilfen gelernt hat, bleibt entspannt und reagiert gerne. Willst du mehr über die verschiedenen Pferderassen und deren Eigenheiten erfahren, kannst du auch gerne hier weiterlesen.
Nicht nur dem Pferd zuliebe, sollten wir als Reiter immer das Ziel im Blick behalten, uns täglich zu verbessern und auch außerhalb des Sattels fit zu halten.